(Un-)Sichtbarkeit von Forschungsleistungen: Bedeutung und Messbarkeit des Gender Citation Gap

(Un-)Sichtbarkeit von Forschungsleistungen: Bedeutung und Messung des Gender Citation Gap

Wissenschaftlerinnen werden seltener zitiert als ihre männlichen Kollegen. Diese Annahme steckt hinter dem Ausdruck „Gender Citation Gap“. Ein struktureller geschlechtsspezifischer Unterschied in der Zitationshäufigkeit wäre folgenreich für die Karrierechancen von Wissenschaftlerinnen und die Anerkennung und Sichtbarkeit ihrer Leistungen. Allerdings herrscht Uneinigkeit darüber, ob und in welchem Ausmaß ein Gender Citation Gap besteht. Studienergebnisse variieren je nach Kontext, Region und untersuchtem Fachgebiet, aber vor allem auch nach Art der Messung.1

Um Orientierung und Impulse zur weiteren Auseinandersetzung zu geben, fassen wir einige Informationen zum Thema zusammen.  

Die Leistungen von Wissenschaftler*innen lassen sich durch verschiedene Indikatoren beschreiben. Innerhalb des Wissenschaftssystems dienen sie als Kriterium für die Einstellung, Beförderung und Bezahlung von Wissenschaftler*innen und haben somit Auswirkungen auf Karriereverläufe und die Sichtbarkeit in der akademischen Welt und darüber hinaus. Neben Indikatoren wie Drittmitteleinwerbungen, Berufungen, Patenten und Forschungspreisen werden vor allem Kennzahlen zu Publikationen und Zitationen verwendet, um wissenschaftlichen Output zu messen. Dafür werden quantitative Daten genutzt, die sich auf wissenschaftliche Veröffentlichungen beziehen. Gängige Indikatoren geben Auskunft über Publikationen, Zitationen, sowie Einfluss und Relevanz der Veröffentlichungen und können für einzelne Autor*innen, Institutionen oder Zeitschriften berechnet werden. Solche bibliometrischen Analysen greifen auf Zitationsdatenbanken wie Scopus (vom Unternehmen Elsevier), Google Scholar oder Open Alex (Non-Profit-Organisation OurResearch) zurück.1,2,3,4 

Die Aussagekraft bibliometrischer Indikatoren für die Bewertung von Forschungsleistungen ist allerdings nicht unumstritten. Allein die Anwendung eines Bewertungssystems auf verschiedene Wissenschaftsdisziplinen wird angesichts jeweils spezifischer Publikations- und Zitationspraktiken in den Fachgebieten problematisiert. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Unterschiede und Intransparenz bei den Berechnungsverfahren verschiedener Anbieter leicht zu Verzerrungen führen können und Manipulationen begünstigen. Zudem wird der Fokus auf quantitative Daten generell in Frage gestellt: Hohe Zitationsraten könnten auch bedeuten, dass ein/e Autor*in oder eine Publikation stark in der Kritik steht und lassen keine direkten Schlussfolgerungen auf die Qualität zu. Werden hohe Publikationszahlen und Zitationsraten zum Gradmesser für gute Wissenschaft erklärt, könnten zudem Fehlanreize für die Forschung entstehen. Es wird auch davor gewarnt, dass die Verwendung bibliometrischer Daten bestehende Ungleichheiten im Wissenschaftssystem verstärken kann. Werden Wissenschaftler*innen aufgrund ihres Geschlechts, ihres Herkunftslandes oder ihrer institutionellen Zugehörigkeit systematisch seltener zitiert, verstärkt eine Evaluation auf der Basis quantitativer Analysen ihre Ungleichbehandlung und Unsichtbarkeit im Wissenschaftssystem – so die Annahme.1,4 

In der bestehenden Forschung zum Gender Citation Gap werden nach Wu (2024) hauptsächlich 3 unterschiedliche Ansätze zu seiner Messung verwendet: 

  1. Messung pro Artikel: Wie häufig werden Artikel von Autorinnen zitiert und wie häufig werden Artikel von Autoren zitiert? Bei Artikeln mit mehreren Autor*innen wird zum Beispiel nach dem Geschlecht des Erstautors bzw. der Erstautorin kategorisiert. 
  2. Messung pro Autor*in: Wie häufig werden Wissenschaftlerinnen zitiert und wie häufig werden Wissenschaftler zitiert? Hier werden Zitationen im gesamten Karriereverlauf oder über einen bestimmten Zeitraum hinweg betrachtet. 
  3. Messung pro Literaturliste: Wie viele Publikationen mit männlichem Hauptautor und wie viele Publikationen mit weiblicher Hauptautorin werden pro Artikel zitiert? Das Geschlechterverhältnis in einem Pool von Literaturlisten wird verglichen mit einem zu erwartenden Geschlechterverhältnis, wenn Verweise zufällig gewählt würden.

Wu (2024) hat eine Vielzahl von Studien analysiert und kommt zu dem Schluss, dass ein Gender Citation Gap am deutlichsten auf der Autor*innen-Ebene nachgewiesen wird: 

  1. Messung pro Artikel: Die Ergebnisse variieren je nach Kontext, Region und wissenschaftlichem Bereich. Insgesamt bleibt die Zitierhäufigkeit pro Artikel oft relativ ausgeglichen, zum Teil erhalten Artikel von Frauen sogar höhere Zitationsraten als Artikel von Männern.
    Für Publikationen aus deutschen Forschungseinrichtungen weisen aktuelle Daten zum Field-Weighted Citation Impact (FWCI) auf einen geringen Gender Citation Gap hin. Demnach werden Veröffentlichungen von Männern etwas häufiger zitiert als solche von Frauen. Mehr dazu im Daten & Fakten-Bereich zum Gender Citation Gap
  2. Messung pro Autor*in: Auf dieser Ebene zeigen Analysen meist einen signifikanten Gender Citation Gap: Männer akkumulieren im Durchschnitt eine höhere Anzahl an Zitationen als Frauen und dieser Gap wird im Karriereverlauf größer. 
  3. Messung pro Literaturliste: Studien kommen hier zu unterschiedlichen Ergebnissen. Für bestimmte Wissenschaftsbereiche wird eine Unterrepräsentation von Autorinnen in Literaturlisten festgestellt, andere Forschungen stellen keinen Gender Gap fest und auch keinen systematischen Zusammenhang zwischen dem Geschlecht der/des Zitierenden und dem Geschlechterverhältnis der zitierten Autor*innen.

Dort wo Untersuchungen einen Gender Citation Gap auf der Ebene von Artikeln festgestellt haben, werden verschiedene Erklärungen angeführt, z.B.:  

  • Bewertungs-Bias: Die Arbeit von Wissenschaftlerinnen wird aufgrund unbewusster Annahmen über die Fähigkeiten von Männern und Frauen weniger wertgeschätzt und in der Folge seltener zitiert.
  • Unterrepräsentation: Weil Frauen in der Wissenschaft lange unterrepräsentiert waren und es auch heute noch in vielen Bereichen sind, gibt es weniger Artikel von Frauen, die zitiert werden könnten.
  • Homophilie: Autor*innen zitieren eher Arbeiten von Wissenschaftler*innen des gleichen Geschlechts oder aus dem eigenen Netzwerk. Weil Männer eher Männer-Netzwerke haben (und Frauen eher Frauen-Netzwerke) und in den meisten Feldern überrepräsentiert sind, werden weniger Frauen zitiert.6,8 
  • Selbstzitate: Männer zitieren sich häufiger selbst als Frauen, bzw. können sich häufiger selbst zitieren, weil sie im Karriereverlauf mehr publizieren.

Studien liefern zu diesen Annahmen allerdings unterschiedliche, teils widersprüchliche Ergebnisse.1 

 Während ein Gender Citation Gap auf der Artikel-Ebene nicht immer festzustellen ist, bestätigen viele Studien einen Gender Citation Gap auf der Autor*innen-Ebene. Dieser wird vor allem mit einer geringeren Forschungsproduktivität von Frauen erklärt – über ihre gesamte Karriere hinweg veröffentlichen Wissenschaftlerinnen weniger (Gender Publication Gap), sind dadurch weniger sichtbar für Peers und akkumulieren in der Folge weniger Zitationen.1,10,11 

Geschlechterunterschiede im Publikationsoutput werden auf strukturelle Unterschiede in den Karrieren von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zurückgeführt, z.B.: 

  • Weniger Kollaborationen/Homophilie: Wissenschaftlerinnen arbeiten seltener in Kollaborationen, während Männer vor allem Netzwerke mit Forschenden des gleichen Geschlechts bilden. Forschungskollaborationen wirken sich langfristig positiv auf die Gesamtzahl an Publikationen und damit Zitationen aus (insofern diese nicht nur anteilig den beteiligten Autor*innen zugeschrieben werden).12,13 
  • Verantwortung für Sorgearbeit in Familie und Wissenschaft: Frauen übernehmen häufiger oder in größerem Umfang Sorgeaufgaben in der Familie. Das hat Auswirkungen auf Karrierechancen und den Verbleib in der Wissenschaft und wirkt sich negativ auf die Forschungsproduktivität aus. Auch als Wissenschaftlerinnen wenden Frauen mehr Zeit auf für akademische Tätigkeiten, die mit Sorgearbeit oder Service verbunden sind. Engagement in der Lehre, Unterstützung von Studierenden und Kolleg*innen, Organisation und Administration sind Tätigkeiten, die weniger quantifizierbar sind und Zeit in Anspruch nehmen, die nicht für die Forschung und Veröffentlichung von Ergebnissen genutzt werden kann. 5,14 

Mehr dazu im Daten & Fakten-Bereich zum Gender Publication Gap

Das Thema Gender Citation Gap in der Förderrichtlinie „Innovative Frauen im Fokus“

Das Thema in der Förderrichtlinie „Innovative Frauen im Fokus“ 

Das IFiF-Projekt Diversity-X will zu gender-fairen Zitationspraktiken in der Wissenschaft beitragen und untersucht dazu die Sichtbarkeits- und Zitations-Diversität in der Kommunikationswissenschaft. Mit dem Tool „Diversity-X“ hat das Projekt ein Instrument entwickelt, mit dem die Geschlechterdiversität und die nationale Diversität zitierter Autor*innen in wissenschaftlichen Artikeln erfasst werden können. Nutzer*innen müssen dazu lediglich eine PDF-Datei des zu untersuchenden Literaturverzeichnisses hochladen. Hier finden Sie weitere Informationen zum Tool „Diversity-X“ des gleichnamigen IFiF-Projekts

Das IFiF-Projekt Gender Citation Gap untersuchte das Ausmaß und die Ursachen des Gender Citation Gap in der internationalen Politikwissenschaft und erforschte auch, wie dieser verringert werden kann. Dabei wurden insbesondere redaktionelle Veröffentlichungsmaßgaben als Ansatz für Veränderungen fokussiert. Im Interview beschreibt Projektleiter Prof. Ingo Rohlfing, wie Herausgeber*innen mit leicht umsetzbaren Maßnahmen bei Autor*innen ein Bewusstsein für ihr Zitationsverhalten schaffen und so auf mehr Diversität unter den zitierten Wissenschaftler*innen hinwirken können. Hier finden Sie das vollständige Interview

Das IFiF-Projekt SiWaProf erforschte die Sichtbarkeit und Wahrnehmung von Professorinnen in Sportökonomie, Sportmanagement und Sportsoziologie. In einem Teilmodul widmete sich das Projekt der Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen in renommierten sportwissenschaftlichen Zeitschriften. Eine Publikations- und Zitationsanalyse von Artikeln aus dem European Journal for Sport and Society (EJSS) ergab unter anderem, dass die Anzahl an Zitationen pro Artikel mit dem Anteil der weiblichen Ko-Autor*innen steigt. Die Ergebnisse der Studie finden Sie hier

meta-IFiF zeigt im Daten & Fakten-Bereich: Frauen und Forschungsleistungen Zahlen zum Gender Citation Gap, zum Gender Publication Gap, zu Patentanmeldungen und zu Anträgen auf Forschungsfinanzierungen. 

Literatur

Literatur

1 Wu, Cary (2024): The gender citation gap: Approaches, explanations, and implications. Sociology Compass, 18(2).  

2 Wissenschaftsrat (2011): Empfehlungen zur Bewertung und Steuerung von Forschungsleistungen.   

3 Berlin Universities Publishing: Bibliometrie. Online: www.berlin-universities-publishing.de/beratung/bibliometrie/index.html (Abgerufen am 12.02.2025).   

4 Deutsche Forschungsgemeinschaft (2022): Wissenschaftliches Publizieren als Grundlage und Gestaltungsfeld der Wissenschaftsbewertung - Herausforderungen und Handlungsfelder. Bonn.   

5 Weber, Lena (2023): Geschlechterungleichheiten in der Wissenschaft während der Corona-Pandemie (Literaturreview). CEWSpublik, 29. Köln: GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften.  

6 Dion, Michelle L.; Sumner, Jane Lawrence; Mitchell, Sara McLaughlin (2018): Gendered Citation Patterns across Political Science and Social Science Methodology Fields. Political Analysis, 26(3): 312-327. 

7Ferber, Marianne A. & Brün, Michael (2011): The Gender Gap in Citations: Does It Persist? Feminist Economics 17(1): 151-158. 

8 Nettasinghe, Buddhika; Alipourfard, Nazanin; Krishnamurthy, Vikram & Lerman, Kristina (2021): Emergence of structural inequalities in scientific citation networks. arXiv preprint arXiv:2103.10944. 

9 Andersen, Jens Peter; Schneider, Jesper Wiborg; Jagsi, Reshma & Nielsen, Mathias Wullum (2019): Meta-Research: Gender variations in citation distributions in medicine are very small and due to self-citation and journal prestige. Elife, 8, e45374. 

10  Huang, Junming; Gates, Alexander J.; Sinatra, Roberta & Barabási, Albert-László (2020): Historical comparison of gender inequality in scientific careers across countries and disciplines. Proceedings of the National Academy of Sciences, 117(9), 4609-4616. 

11 Leahey, Erin (2007): Not by productivity alone: How visibility and specialization contribute to academic earnings. American Sociological Review, 72(4), 533–561. 

12 Larivière, V., Ni, C., Gingras, Y., Cronin, B., & Sugimoto, C. R. (2013): Bibliometrics: Global gender disparities in science. Nature, 504(7479), 211–213. 

13 Kwiek, Marek & Roszka, Wojciech (2021): Gender-based homophily in research: A large-scale study of man-woman collaboration. Journal of Informetrics, 15(3), 101171. 

14 Hunter, Laura A. & Leahey, Erin (2010): Parenting and research productivity: New evidence and methods. Social Studies of Science, 40(3), 433-451.