Sichtbarkeit wird häufig durch „Selbstvermarktung“ erreicht – das heißt, gute Arbeit zu machen, sie aktiv zu bewerben und als eigene Leistung herauszustellen. Studien haben gezeigt, dass Frauen sich häufig weniger stark selbst vermarkten und z.B. in Co-Autor*innenschaften mit Männern weniger sichtbar sind. Außerdem gibt es einen zeitlichen Faktor – wenn Frauen mehr Care-Arbeit machen als Männer, haben sie weniger Zeit für Selbstmarketing. Schließlich werden sichtbare Frauen leider oft stärker und persönlicher kritisiert als Männer. Hinzu kommt, dass Frauen oft mehr Aufgaben in Lehre, Mentoring und Management übernehmen, die an deutschen Universitäten selten sichtbar gemacht werden.
Strukturen verändern – Frauen sichtbarer machen
Damit Frauen sich im gleichen Maße wie Männer entfalten können und bei gleicher fachlicher Expertise ebenso nach außen sichtbar werden, muss das Arbeitsumfeld verändert werden. Dieser Wandel beginnt mit der Sensibilisierung für die Ist-Situation und der Beantwortung der Frage nach der Notwendigkeit von Veränderungen. Hier helfen z.B. Statistiken, die die Unterrepräsentanz von Frauen aufzeigen sowie Schulungen und Informationen über die Vorteile diverser Teams.
Strukturen sollten so verändert werden – am besten unter Mithilfe von bereits existierenden Akteur*innen wie z.B. Gleichstellungsbeauftragen oder Frauennetzwerken –, dass eine geschlechtersensible und geschlechterparitätische Darstellung nach außen und Verantwortlichkeiten nach innen selbstverständlich sind. Frauen müssen hier von den Organisationen bewusst in den Blick genommen, gefördert und ausgestattet werden.
In der Förderrichtlinie „Innovative Frauen im Fokus“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gibt es zahlreiche Projekte, die Strukturen erforschen oder etablieren, die innerhalb von Organisationen der Wissenschaft oder Wirtschaft zur Erhöhung der Sichtbarkeit innovativer Frauen beitragen. Zu den Best-Practice-Beispielen aus der Förderrichtlinie zählen unter anderem folgende Projekte:
- EXENKO: Sensibilisierung von Postdocs und Akteur*innen der Hochschulkommunikation für das Thema Exzellenz und Gender sowie Stärkung der Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Hochschulkommunikation.
- GAP: Verkleinerung des „Gender Award Gap“ in den Anerkennungskulturen der Medizin über die Einbindung der medizinischen Fachgesellschaften.
- Gender Citation Gap: Untersuchung des Ausmaßes des „Gender Citation Gap“ in den Politikwissenschaften und Vorschlag struktureller Veränderungsmöglichkeiten seitens der Herausgeber*innen von Zeitschriften.
- Gender-Innovationen: Förderung der Sichtbarkeit von Frauen in der Genderforschung und Entwicklung von Handlungsempfehlungen für den sozial- und geisteswissenschaftlichen Lehrplan.
- heiCHANGE: Veränderungen der Strukturen in der Wissenschaft am Beispiel der Universität Heidelberg zur Erhöhung des Innovationspotenzials und der Sichtbarkeit von Frauen.
- InnoGründerinnen: Sensibilisierung und Entwicklung eines Handlungsleitfadens für gründerinnenfreundliche Strukturen an Hochschulen.
- SESiWi: Erhöhung der Sichtbarkeit innovativer Leistungen von Wissenschaftlerinnen in der Forschung und in den Medien durch strukturelle Verankerung z.B. über die Durchführung von Workshops mit Wissenschaftlerinnen und Medienschaffenden.
- SiWaProf: Sensibilisierung des Umfelds und Entwicklung von Handlungsempfehlungen für die Erhöhung der Sichtbarkeit von Professorinnen in den Disziplinen Sportökonomie, Sportmanagement und Sportsoziologie.
Best Practice Beispiele außerhalb der Förderrichtlinie
Weitere inspirierende Beispiele dafür, wie strukturelle Veränderungen in der Wissenschaft oder Wirtschaft zur Erhöhung der Sichtbarkeit innovativer Frauen beitragen können, finden sich auch bei Projekten und Maßnahmen außerhalb der Förderrichtlinie „Innovative Frauen im Fokus“. Vier gute Beispiele werden im Folgenden kurz vorgestellt:
FEM POWER hat an 12 Standorten in Sachsen-Anhalt die Chancengerechtigkeit zwischen Frauen und Männern in Wissenschaft und Forschung gefördert und über strukturelle Veränderungen und die Professionalisierung von Gleichstellungsarbeit einen Kulturwandel innerhalb der Organisationen vorangetrieben. Von Sensibilisierungsmaßnahmen zu gleichstellungsrelevanten Themen, über Förderung von Frauen im MINT-Bereich sowie einer geschlechtergerechten Personalentwicklung in Form von Ressourcen und Coaching- oder Mentoringangeboten, bis hin zur Verstärkung der Gleichstellungsarbeit über strukturelle Verankerung und Förderung der Genderkompetenz in der Lehre sowie der Stärkung des Bereichs Geschlechterforschung an den Hochschulen wurde die Repräsentanz und Sichtbarkeit der Wissenschaftlerinnen verstärkt.
Seit 2013 führt die Fakultät für Mathematik und Statistik zusammen mit dem Gleichstellungsbüro der Universität Konstanz das Projekt Konstanz Women in Mathematics (KWIM) durch, das Mathematikerinnen verschiedener Karrierestufen unterstützt und in ihrer Sichtbarkeit stärkt. Die über das Projekt etablierten Strukturen beinhalten Vorlesungen über mathematische Ergebnisse, Biografien von Mathematikerinnen und/oder ihre Erfahrung in der Wissenschaft, die Organisation von Konferenzen und Tagungen für Mathematikerinnen, Vernetzungsmöglichkeiten für Frauen in der Mathematik sowie eine 1:1 Beratungsmöglichkeit von und für Frauen.
Die Initiative Frauen !n Führung (F!F) fokussiert durch ihre Aktivitäten eine Erhöhung des Frauenanteils und der Vielfalt in der Führungsebene der deutschen Immobilienwirtschaft, mit dem Ziel, einen kulturellen Wandel zu bewirken. Dabei setzt die Initiative auf die Sensibilisierung des relevanten Umfelds über Studien und Zahlen und Fakten, über Talks, Paneldiskussionen und Interviews mit Menschen innerhalb und außerhalb der Immobilienwirtschaft, einer Speakerinnen-Datenbank mit Expertinnen der Immobilienwirtschaft sowie der Einbindung von Männern als Male Allys in Form einer Kampagne.
Mit #LiT – Ladies in Tech möchte eco als Europas größter Verband der Internetwirtschaft mehr Frauen in die Techbranche bringen. Dazu sensibilisiert die Initiative das relevante Umfeld mit Hilfe von Fakten & Zitaten, Studien und Whitepaper, dient als digitale und analoge Austauschplattform für Tech-Frauen, platziert Frauen auf der Bühne und steigert deren Präsenz zusätzlich über ein Speakerinnen-Verzeichnis, fördert die (digitale) Sichtbarkeit von Frauen als Role Models, bringt sich als Interessensvertretung in der politischen Arbeit mit ein und bindet diverse Kooperationspartner sowie Männer der Branche mit ein.
Mehr zu diesen und weiteren Sichtbarkeitsmaßnahmen und Projekten, die sich mit der Veränderung von Strukturen auseinandersetzen, finden Sie in der meta-IFiF Datenbank „Sichtbarkeitsmaßnahmen“
#3FragenAn Prof. Dr. Christiane Schwieren vom Projekt heiCHANGE
Das IFiF-Projekt heiCHANGE zielt ganz konkret auf strukturelle Veränderungen ab, die ein inklusives und innovatives Wissenschaftsverständnis ermöglichen. Die Universität Heidelberg dient dabei als Modell, an dem Strukturen angestoßen werden, die zu einer erhöhten Sichtbarkeit der universitätseigenen Wissenschaftlerinnen beitragen.
meta-IFiF hat Prof. Dr. Christiane Schwieren, die Projektleiterin von heiCHANGE, gefragt, wo bestehende Strukturen die Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen behindern, welche Veränderungen das Projekt anstrebt und wo Veränderungen am leichtesten bzw. am schwierigsten umzusetzen sind.
#3FragenAn Prof. Dr. Christiane Schwieren vom Projekt heiCHANGE
Die Universität ist gerade dabei, eine neue Expert*innenplattform aufzubauen. Hier wollen wir ansetzen und zum einen ermöglichen, verschiedenste Arten von Expertise herauszustellen - also nicht nur Publikationen und Drittmittelerfolge, sondern auch andere Expertise, z.B. in Lehre oder Mentoring. Außerdem wollen wir verschiedene Arten von Unterstützung bei der Darstellung innerhalb der Plattform ausprobieren, um besser zu verstehen, was hilfreich ist. Das ist natürlich nur ein erster Schritt!
Am leichtesten sind Veränderungen, wie wir sie jetzt ausprobieren wollen – Veränderungen die hauptsächlich Darstellungsaspekte betreffen. Schwierig wird es, wenn sich die gesamte Kultur dessen, was als anerkennenswerte Leistung gilt, ändern soll. Das erfordert tiefgreifende Veränderungen, zum Beispiel der Bewertungskriterien, ist jedoch nicht grundsätzlich unmöglich. In anderen Ländern, z.B. in Kanada, gibt es bereits Strukturen, die Anerkennung und Sichtbarkeit für verschiedenste Leistungen innerhalb des Wissenschaftssystems erlauben. Ganz schwierig wird es bei gesellschaftlichen Veränderungen – wenn es um den Punkt geht, dass Frauen häufig schärfer kritisiert werden als Männer, wenn sie sichtbar sind. Solche langfristigen Veränderungen benötigen Zeit.