Der Gender Citation Gap beschreibt, dass Forscherinnen weniger häufig zitiert werden als ihre männlichen Kollegen. Aktuelle Forschungsergebnisse des IFiF-Projeks zeigen ein vielfältigeres Bild.
Gender Citation Gap
Ausmaß und Ursachen des Gender Citation Gap und wie man es verringern könnte
Steckbrief
- Institution:
- Universität Passau
- Laufzeit:
- Dezember 2021 - November 2024
- Kontakt:
-
Prof. Ingo
Rohlfing
ingo.rohlfing@uni-passau.de
Aktuelles aus dem Projekt
Gender Citation Gap in der Politikwissenschaft
Die Anzahl der Zitationen eines Artikels gelten in der Wissenschaft als Maß für den Impact einer Forscherin bzw. eines Forschers. Ein strukturelles Gender Citation Gap (GCG) würde zu einem Karrierenachteil von Forscherinnen führen, da diese bei gleicher Publikationsqualität wie Männer weniger Zitationen erhielten. In diesem Projekt wird eine umfassende Analyse des GCG in der internationalen Politikwissenschaft vorgenommen. Gleichwohl die Bedeutung von Zitationen hoch ist, gibt es wenig Forschung über das GCG in der Politikwissenschaft. Bisherige Studienergebnisse sind gemischt und es lassen sich sowohl Belege für das Bestehen eines GCG als auch für dessen Fehlen finden.
Analyse mittels größerer Datenbasis, Kausalmodellen, Quasiexperimenten und Agent-Based Modeling
Vor diesem Hintergrund leistet das Projekt vier Beiträge:
- Empirisch wird eine größere Datenbasis angestrebt, um zu breiteren Erkenntnissen zu kommen und z.B. Unterschiede über Zeit zu analysieren.
- Hypothesen über Ursachen des GCG werden formuliert und in Kausalmodelle (directed acyclic graphs, DAGs) überführt. Dies erhöht die Transparenz der Theorie und erlaubt es, gezielt Identifikationsannahmen und dementsprechende statistische Modelle abzuleiten.
- Um spezielle publikationsbezogene Effekte auf das GCG zu schätzen, werden designbasierte Ansätze genutzt. Es wird untersucht, inwiefern sich Unterschiede in Begrenzungen der Wortzahl oder der Seitenzahl negativ auf die Zitationen auswirken, die Frauen erhalten.
- Auf Basis theoretischer Überlegungen und den statistischen Erkenntnissen werden Simulationsanalysen eingesetzt. Das Ziel sind simulationsbasierte Erkenntnisse darüber, wie sich kurzfristige, leicht umsetzbare redaktionelle Maßnahmen in einem komplexen System wie dem Publikationswesen auf das GCG auswirken. Aus dem Zusammenspiel der Erkenntnisse können praktische Empfehlungen für Herausgeber*innen abgeleitet werden, um Karrierenachteile von Frauen zu verringern.
Alles auf einen Blick
Unser Team besteht aktuell aus Mio Hienstorfer-Heitmann, Barbara Ellynes Zucchi Nobre Silva und Ingo Rohlfing. Das Projekt ist an der Universität Passau angesiedelt. Ehemalige Mitarbeiterinnen sind Ayjeren Bekmuratovna R., Katelyn Nutley und Esther Song. Wir werden in unserer Arbeit durch Hilfskräfte unterstützt.
Im Zentrum des Projekts steht das Gender Citation Gap (GCG) in politikwissenschaftlichen, begutachteten (peer review) Zeitschriftenartikeln. Das Gender Citation Gap bedeutet, dass Artikel von Wissenschaftlerinnen weniger von anderen Wissenschaftler*innen zitiert werden als gleichwertige Artikel von Wissenschaftlern. Dies ist ein Problem, weil Zitationen eine wichtige „Währung“ sind, die für die Karriere und das Ansehen einer Forscher*in wichtig sind. Mit unserem Projekt wollen wir das Bewusstsein dafür schärfen, wie groß das GCG ist, was seine Ursachen sind und welche Maßnahmen man ergreifen sollte, um es zu verringern.
Die erste Zielgruppe sind Wissenschaftler*innen, die in ihren Arbeiten die Forschung von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zitieren und dadurch bewusst oder unbewusst zum GCG beitragen. Durch das Projekt sollen Wissenschaftler*innen für ihr Zitierverhalten sensibilisiert werden.
Die zweite Zielgruppe sind die Herausgeber*innen wissenschaftlicher Zeitschriften. Herausgeber*innen treffen die Entscheidung darüber, welche Artikel in ihrer Zeitschrift veröffentlicht werden und welche Vorgaben dabei einzuhalten sind. Ihnen kommt daher eine Schlüsselrolle in der Verringerung eines GCG zu. Das Projekt soll Herausgeber*innen für das Thema sensibilisieren und ihnen Möglichkeiten aufzeigen, wie sie durch gezielte Veröffentlichungsmaßgaben zu einer Verringerung des GCG beitragen können.
In unserem Projekt verwenden wir eine Kombination aus quantitativen Methoden und Computational Social Science, um das Ausmaß des GCG zu schätzen und mögliche Ursachen zu bestimmen. Wir greifen dabei auf Zitationsdaten für politikwissenschaftliche Zeitschriftenartikel zurück und verwenden Forschungsdesigns wie natürliche Experimente, um herauszufinden, was mögliche Gründe für das GCG sind. In einem letzten Schritt wollen wir Simulationen (agent based modelling) nutzen, um besser abschätzen zu können, ob bestimmte Veränderungen im wissenschaftlichen Publizieren dazu beitragen können, das GCG zu verringern und wie stark die Verringerung ausfallen würde.
Barbara Zucchi Nobre Silva und Esther Song vom IFiF-Projekt Gender Citation Gap waren auf der Jahrestagung 2023 der American Political Science Association in L.A. vertreten und konnten die Forschungsmethoden zu dem Zitationsgefälle zwischen Männern und Frauen im Rahmen eines Vortrags präsentieren. Wir haben eine Zusammenfassung auf der meta-IFiF-Website veröffentlicht: www.innovative-frauen-im-fokus.de/news/jahrestagung-der-american-political-science-association-aspa/
Gender Citation Gap
Der Gender Citation Gap beschreibt, dass Forscherinnen weniger häufig zitiert werden als ihre männlichen Kollegen. Aktuelle Forschungsergebnisse aus dem IFiF-Projekt Gender Citation Gap zeigen jedoch ein vielfältigeres Bild. Die Daten aus der internationalen Politikwissenschaft deuten darauf hin, dass die Zitationsmuster komplexer sind und von verschiedenen Faktoren abhängen. Wir sprachen mit Prof. Ingo Rohlfing, Leiter des Projekts Gender Citation Gap, über die Forschungsergebnisse und die Schlüsse, die daraus gezogen werden können.
Sie befassen sich in Ihrem Forschungsprojekt mit der Zitationshäufigkeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Ganz allgemein gefragt: Warum ist es wichtig, zitiert zu werden?
Aus wissenschaftlicher Perspektive ist es für den Wissensfortschritt wichtig, wahrgenommen und zitiert zu werden und die Arbeiten anderer Forscher*innen angemessen zu zitieren. Die zitierende Person stellt dadurch sicher, dass sie auf bestehende Forschung aufbaut. Sie signalisiert damit Leser*innen, auf welche Forschung sie sich bezieht und einen Beitrag leistet.
Aus individueller Perspektive ist es bedeutsam zitiert zu werden, weil dies gemeinhin als Maß für die Sichtbarkeit der eigenen Forschung gilt. Ob Zitationen darüber hinaus ein Hinweis auf die wissenschaftliche Qualität und Bedeutung der Arbeit sind, ist umstritten. Es ist jedoch nach wie vor der Fall, dass Zitationen bei Anstellungen, Beförderungen oder der Vergabe von Forschungspreisen eine Rolle spielen.
Konkret erforschen Sie, ob es einen Gender Citation Gap in den Politikwissenschaften gibt, ob also Männer häufiger zitiert werden als Frauen. Wie gehen Sie dabei vor und was haben Sie in Ihrer Forschung bislang herausgefunden?
Man kann das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln untersuchen. In einem beschreibenden Ansatz geht es darum, ob es ein Gender Citation Gap gibt und wie ausgeprägt dieser gegebenenfalls ist.
Erfreulicherweise gab es in den letzten Jahren eine Reihe von Initiativen wie OpenAlex, die Metadaten über Publikationen veröffentlichen, das heißt zum Beispiel über das Publikationsjahr, die Autor*innen, die Zeitschrift und die Zitationshäufigkeit.
Das Ergebnis, das wir für das Vorliegen eines Gaps erhalten haben, ist gemischt. Allgemein werden Publikationen mit mehreren Autor*innen häufiger zitiert als Werke, die von einer Person geschrieben wurden. Etwa 40 Prozent der Artikel, die von einer Person verfasst wurden, sind nie zitiert worden. Unter den zitierten Artikeln haben Frauen einen leichten Zitationsvorteil, abgesehen von den Publikationen mit den höchsten Zitationszahlen. Unter den topzitierten Artikeln überwiegen Männer und haben eine höhere Zitationsrate als Frauen.
Sie haben also herausgefunden, dass die meist häufig zitierten Artikel häufiger von Männern stammen, während bei mittlerer Zitationshäufigkeit eher die Artikel überwiegen, die von Frauen geschrieben wurden. Wie erklären Sie diese Unterschiede?
Mit den vorhandenen Daten können wir darüber nur spekulieren. Der Männeranteil war in der Politikwissenschaft früher sehr hoch. Dadurch ist es nahezu zwangsläufig der Fall, dass die Klassiker der Disziplin, die immer noch regelmäßig zitiert werden, überwiegend von Männern stammen.
In einer Studie über wirtschaftswissenschaftliche Artikel wird Evidenz berichtet, dass an Wissenschaftlerinnen im Begutachtungsverfahren höhere Ansprüche gestellt werden. Wenn es gelingt, diese Ansprüche zu erfüllen und publiziert zu werden, dann haben die Artikel eine höhere Qualität. Die höhere Qualität könnte sich in höheren Zitationshäufigkeiten widerspiegeln.
Welche kurzfristigen, leicht umsetzbaren Maßnahmen könnten den in Teilbereichen vorhandenen Gender Citation Gap verringern?
Kurzfristig ließe sich umsetzen, was wenige politikwissenschaftliche Zeitschriften bereits praktizieren. Für Artikel, die zur Publikation angenommen sind, wird der Anteil an Autorinnen im Literaturverzeichnis errechnet (Gender Balance Assessment Tool (GBAT)). Der Anteil wird den Autor*innen des angenommenen Artikels mitgeteilt, um das Bewusstsein für die Geschlechterzusammensetzung der zitierten Arbeiten zu erhöhen. Es ist dann eine Entscheidung der Herausgeber*innen, ob man die Autor*innen zusätzlich darum bittet, den Anteil zu steigern, wenn man diesen für zu gering hält.
Eine andere Maßnahme, die am Bewusstsein von Wissenschaftler*innen ansetzt, wäre, in den Informationen für Artikeleinreichungen auf das Zitationsverhalten hinzuweisen und nicht nur Mitglieder von Mehrheitsgruppen zu zitieren. Wir haben dazu eine beschreibende Analyse durchgeführt, die darauf hindeutet, dass nur wenige politikwissenschaftliche Zeitschriften diesen Punkt in ihren Einreichinformationen erwähnen.
Eine dritte Möglichkeit ist, mehr Raum für Zitationen zu schaffen. Wissenschaftliche Zeitschriften setzen in der Regel eine Obergrenze für die Wortzahl oder Seitenzahl eines Artikels. Unter die Obergrenze fällt in der Regel die Literaturliste. Das setzt einen Anreiz, wenig zu zitieren, was wiederum dazu führen könnte, mehr Männer und weniger Frauen zu zitieren. Einige politikwissenschaftliche Zeitschriften haben die Literaturliste mittlerweile von der Obergrenze ausgenommen, um mehr Freiraum für das Zitieren zu schaffen.
Welche weiteren Forschungsfragen sind Ihrer Meinung nach wichtig, um ein vollständiges Verständnis des Gender Citation Gaps zu erlangen?
Zitationshäufigkeiten und gegebenenfalls ein Gender Citation Gap resultieren aus dem Zitationsverhalten von Wissenschaftler*innen. Darüber ist wenig bekannt. Wie entscheidet man, ob jemand zitiert wird und wen man zitiert? Ist es überhaupt eine bewusste Entscheidung für eine bestimmte Publikation, oder zitiert man gewohnheitsmäßig über Jahre dasselbe?
Ich denke, Erkenntnisse über das Zitationsverhalten von Autor*innen sind wichtig, um entscheiden zu können, welche Maßnahmen effektiv sein können, um einen Gender Citation Gap zu verringern.
Wie können andere Disziplinen von Ihren Forschungsergebnissen profitieren und wie planen Sie, Ihre Ergebnisse nachhaltig zu sichern und zugänglich zu machen?
Unterschiedliche Disziplinen haben unterschiedliche Publikationskulturen und Geschlechteranteile, was womöglich eine Rolle für Vorhandensein und Ausmaß eines Gender Citation Gap spielt. Ich wäre daher vorsichtig, die Erkenntnisse von einer Disziplin auf eine andere zu übertragen.
Wir arbeiten in unserem Projekt mit quantitativen Methoden. Die Daten und der Code werden öffentlich in einem nachhaltigen Repositorium geteilt (voraussichtlich Zenodo), sofern dies möglich ist. In Teilen arbeiten wir mit den Volltextdaten von Forschungsartikeln. Diese können wir aus Urheberrechtsgründen nicht öffentlich stellen. Unsere Publikationen, an denen wir noch arbeiten, werden ebenfalls bei Zenodo als Preprints und gegebenenfalls als Green Open-Access-Varianten geteilt.